Meeresströmungen modellieren

Selbst kleine Meeresströmungen können erhebliche Auswirkungen auf das Klima haben. Sonal Rami forscht an der MarDATA daran, komplexe Ozean-Modelle noch genauer zu machen, um diese Strömungen präziser vorhersagen zu können.

„Jeder Atemzug und jeder Tropfen Wasser, den wir trinken, verbindet uns unmittelbar mit dem Meer“, sagt die Datenwissenschaftlerin Sonal Pravinbhai Rami. „Die Meereswissenschaft steht in direktem Zusammenhang mit unserem Alltag.“ Es ist diese Überzeugung, die Rami im Jahr 2019 von ihrer Lehrtätigkeit als Informatikerin an einer Universität in Indien, nur eine kurze Autofahrt von den warmen Wassern des Arabischen Meeres entfernt, in die deutsche Hafenstadt Bremerhaven führte.

Für die Informatik-Expertin war Deutschland der perfekte Ort, um gleich zwei ihrer Leidenschaften zu pflegen. „Ich verbringe meine gesamte Zeit mit Computern und programmiere gern in Python, aber das Meer hat es mir auch angetan“, sagt Rami. „Ich bin thalassophil. Wasser fasziniert mich.“

Auch deshalb, meint Rami, habe die Helmholtz School for Marine Data Science MarDATA in ihren Augen so perfekt gepasst, als sie beschloss, den nächsten Schritt in ihrer akademischen Karriere zu gehen. Mittlerweile in Bremerhaven ansässig, setzt Rami ihre Erfahrungen als Lehrkraft und Expertin für maschinelles Lernen gezielt dafür ein, komplexe Modelle der Weltmeere weiter zu optimieren.

Eine ziemlich heikle Angelegenheit. Meeresforscher haben zwar Zugang zu einem stetigen Strom von Informationen – von den Temperaturen der Meeresoberfläche und der Ausdehnung des Meereises bis hin zur Geschwindigkeit von Meeresströmungen. Aber all diese Daten in sinnvolle Vorhersagen zu übersetzen ist angesichts dieser Flut von Informationen eine Herausforderung. „In der Ozeanographie kommen jeden Tag mehr und mehr Daten dazu“, so Rami. „Wie können wir aus dieser Fülle von Daten Wissen generieren?"

Das Ozean-Modell FESOM optimieren

Im Rahmen ihrer Promotion arbeitet Rami an Methoden der Interpolation von Meeresoberflächentemperaturen – zur Optimierung der ozeanographischen Modellierung. Im Mittelpunkt ihrer Dissertation steht die Verbesserung des unter dem Namen FESOM bekannten Ozean-Modells (Finite-Element/volume Sea ice-Ocean Model) des Alfred-Wegener-Instituts. Das Modell wurde 2004 erstmals vorgestellt und ist eines der leistungsstärksten Klimamodellierungswerkzeuge des Instituts.

FESOM besteht im Wesentlichen aus einem Computercode, mit dem sich simulieren lässt, wie sich das Meereis auf Meeresströmungen überall auf der Welt auswirkt. Darüber hinaus betrachtet das Modell, wie sich Meeresströmungen gegenseitig beeinflussen. So haben beispielsweise langsamere Wasserströmungen in der Arktis Auswirkungen auf marine Lebensräume weltweit.

Da mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche von Meeren bedeckt sind, sind die Meeresströmungen von erheblicher Bedeutung für das globale Klima. Für Ozeanographen und Klimatologen ist klar, dass Vorhersagen zum Klimawandel nur dann möglich sind, wenn wir verstehen, wie die Meere das Klima beeinflussen. In den letzten zehn Jahren hat FESOM zu verschiedenen Klimazustandsberichten des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) beigetragen, die als Goldstandard für die Klimaforschung gelten.

Dies ist keine leichte Aufgabe, da Meeressysteme so kompliziert sind. Daher ist eine enorme Rechenleistung erforderlich, um exakte Modelle zu erhalten. Allein Meeresströmungen sind jedoch unheimlich komplex. In der echten Welt können Meereswirbel – Mikroströmungen, die zur Entstehung großer Strömungen beitragen – zwischen nur 1 km und 25 km groß sein. Aufgrund beschränkter Rechenkapazitäten können FESOM und andere Ozeanmodelle die Strömungen nur bis zu einer Auflösung von 100 km, und oft sogar noch weniger, berechnen.

Rami will erreichen, dass FESOM mithilfe sogenannter neuronaler Netze genaue Vorhersagen über die Zukunft machen kann. Dazu bringt sie Computern bei, Voraussagen anhand vergangener Modelle zu treffen. „Mein Ziel ist es, Lösungen aus dem Bereich des maschinellen Lernens für die Ozeanographie und Klimamodellierung anzubieten“, sagt Rami.

Interpolation kann mathematische Modellierungen vereinfachen

Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Interpolation: Das ist so, als würde man ein Bild zeichnen, indem man Punkte miteinander verbindet: Anstatt jedes Mal, wenn das Modell berechnet wird, alle Linien neu zu ziehen, bringt Rami dem Computer bei, die Bewegung von Meeresströmungen schneller und effizienter anhand weniger Datenpunkte vorherzusagen. „Im Idealfall“, so Rami, „müssen wir die Mitteldaten nicht speichern.“

Mit anderen Worten: Wenn die Meeresoberflächentemperatur in einer bestimmten Region 25 Grad im Januar und 27 Grad im März beträgt, „wie sieht es dann im Februar aus?“, fragt Rami. „Mithilfe maschinellen Lernens können wir die Mitteldaten auf intelligentere Weise auffüllen“ – und für die Zwecke des Ozeanmodells annehmen, dass die Temperaturen im Februar bei etwa 26 Grad lagen.

Die echte Welt ist natürlich weitaus komplexer. Wenn aber genügend Daten vorliegen, „fügt man Variablen ein“, beispielsweise die Höhe der Meeresoberfläche, Temperatur, Salzgehalt und Windgeschwindigkeit, „und erhält Vorhersagen“, so Rami. „Das ist eine günstige, aber wirksame Lösung, die datengestützte Methoden zur Vorhersage und Rekonstruktion der Meeresoberflächendynamik verwendet.“

Ramis Doktorarbeit wird von Forschern des Alfred-Wegener-Instituts, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Universität Bremen betreut. Diese Kooperation veranschaulicht, was die MarDATA, wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Helmholtz-Gemeinschaft, des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung des Alfred-Wegener-Instituts und mehrerer deutscher Universitäten zusammenkommen, wirklich gut kann: Expertise aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammenbringen.

Mit 15 Promovierenden, die an verschiedenen Institutionen betreut werden, ist die Schule Teil der Helmholtz Information & Data Science Academy (HIDA), Deutschlands größtem Netzwerk für postgraduale Bildung im Bereich Information und Data Science.

„Ich dachte mir, warum nicht in Deutschland promovieren? Das Land ist eines der weltweit führenden im Technologie-Bereich, und beim maschinellen Lernen machen deutsche Wissenschaftler riesige Fortschritte."

Sonal Rami, Doktorandin an der MarData

Forschen an der MarDATA: "Großartiges Hintergrundwissen"

Die Möglichkeit, Datenwissenschaft und Ozeanographie interdisziplinär miteinander zu verbinden, war nicht der einzige Grund dafür, dass Rami sich bei der MarDATA bewarb. Als Assistenzprofessorin in Indien arbeitete sie an Klimamodellen für die indische Raumfahrtbehörde – so wurde das Interesse an diesem Thema bei ihr geweckt.

Ihre ersten Erfahrungen in Deutschland, bei einer Reihe von Expertenvorträgen zum maschinellen Lernen am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen, waren durchweg positiv. „Das hat mich wirklich inspiriert“, sagt sie. „Ich dachte mir, warum nicht in Deutschland promovieren? Das Land ist eines der weltweit führenden im Technologie-Bereich, und beim maschinellen Lernen machen deutsche Wissenschaftler riesige Fortschritte.“

Dass die MarDATA so stark auf Kooperation setzt, gefällt der ehemaligen Dozentin sehr gut. „Wir haben jeden Tag Besprechungen, und zweimal pro Woche treffe ich mich mit meinen Betreuern“, erzählt Rami. „Ich bekomme so viele Vorschläge und tolles Feedback zu meiner Arbeit.“ Da die Forscher infolge der Corona-Krise die meiste Zeit zu Hause verbringen, haben Ramis Mitdoktoranden für die Kontaktpflege sogar virtuelle Gemeinschaftsräume eingerichtet.

Obwohl sie mit fundiertem Hintergrundwissen in Datawissenschaften und Informatik ankam, begann ihre Zeit bei der MarDATA mit einer Blockveranstaltung, die die Forschenden aus unterschiedlichen Disziplinen umfangreich in die Grundlagen von Ozeanographie und Klimawissenschaft einführte. „Wir haben uns mit der Chemie der Ozeane, mit Biodiversität, physikalischer Ozeanographie und Klimatologie befasst – alles großartiges Hintergrundwissen“, so Rami.

Ihr Projekt kommt schnell voran. Sie sucht bereits nach Möglichkeiten, andere Variablen als die Meeresoberflächentemperatur, beispielsweise die Wellenhöhe, zu interpolieren. Und sie ist überzeugt, dass maschinelles Lernen über enormes Potenzial für die Klimaforschung, auch jenseits der Meere, verfügt. „Die langfristige Vision ist, die Interpolation hinter uns zu lassen und Lösungen für umfangreichere Klimamodelle zu schaffen“, sagt Rami. „Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es hoffentlich nicht mehr nötig sein, physikalische Modelle immer wieder auszuführen und all die Mitteldaten zu speichern. Maschinelles Lernen kann realistischere Klimamodelle ermöglichen.“

Autor: Andrew Curry

Alternativ-Text

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