Mathe fürs Meer

Maria-Theresia Verwega ist von ganzem Herzen Mathematikerin und Meeresfan. Mit ihrem Talent für Datenanalyse will sie zum Meeresschutz beizutragen und forscht als Doktorandin an der MarDATA.

Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel liegt im Düsternbrooker Weg, direkt an der Kieler Förde, wo stets ein paar Möwen kreischen. Maria-Theresia Verwega steht schon draußen vor der Tür und wartet auf den Besuch, dem sie ihr neues Forschungsreich zeigen will. Denn im GEOMAR hat sie seit ein paar Monaten ein Büro; ein zweites hat sie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das erste, was an der jungen Doktorandin auffällt? Ihr Kapuzenpulli – mit einer Möwe darauf – und das Leuchten in ihrem Gesicht, das nur Menschen haben, die den richtigen Platz für sich gefunden haben. „Hier zu sein“, sagt sie und strahlt, „ist wirklich mein Traum. Ich wollte immer Ozeanforschung machen – aber ich bin halt Mathematikerin.“

Maria-Theresia Verwega, Jahrgang 1989, die von Freunden und Kollegen meist „Tia“ genannt wird, ist in Kiel geboren – „in der Uni-Klinik, mit Blick aufs Meer.“ Seither gehört das Element zu ihrem Leben. In Seen badet Tia nicht gern, „weil das Wasser nicht salzig schmeckt.“ Dafür springt sie jedes Jahr von März bis November am Falckensteiner Strand in die Ostsee – egal, wie kalt oder windig es ist. Seit Neuestem geht sie sogar das ganze Jahr über baden. „Das Meer“, sagt sie und klingt fast wie verliebt, „ist einfach immer schön.“

Schon früh entdeckt sie ihr Talent für Mathematik

Doch die See bleibt nicht ihre einzige Leidenschaft: Schon früh entdeckt sie ihr Talent für Mathematik. Sie liebt die Klarheit daran und das Tüfteln bis die richtige Lösung gefunden ist. Deshalb entscheidet sie sich nach der Schule fürs Mathematik-Studium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Nebenfach: Physische Geographie. „Denn ich hatte immer den Drang, mit meinem Wissen auch etwas Greifbares zu tun“, erzählt sie, „etwas Nützliches für die Welt.“

Nach dem Bachelor setzt sie zwei Master obendrauf: einen in Mathematik und einen in Environmental Management. Auf der mathematischen Seite spezialisiert sie sich auf Modellierung, Optimierung, Numerik, im Environmental Management auf Ozeanforschung. Ihre Masterarbeiten schreibt sie in beiden Fächern über mathematische Methoden der Datenanalyse und Biogeochemische Modellierung.

Vereinfacht ausgedrückt geht es bei der Biogeochemischen Modellierung um die Darstellung der Wechselbeziehungen chemischer, biologischer oder physikalischer Prozesse, um aus ihnen Erkenntnisse zu ziehen. Bekannt sind beispielsweise die Räuber-Beute-Modelle der Forscher Alfred J. Lotka und Vito Volterra, die aus der Beobachtung verschiedener gemeinsam auftretender Tierpopulationen oder Pflanzenvorkommen Regeln ableiteten, wie diese einander bedingen.

Die Prozesse im Ozean verstehen

In der Ozeanforschung betrachtet man diese Wechselwirkungen auf kleinster Ebene: Anhand sogenannter NPZD-Modelle beobachtet man die Abhängigkeiten zwischen Nährstoffen, Phytoplankton, Zooplankton und Detritus, um aus diesen Kreisläufen Rückschlüsse auf die Prozesse im Ozean zu ziehen und anhand dieser Daten auch in die Zukunft zu rechnen – etwa um Klimavorhersagen zu treffen. „Und genau das ist pure Mathematik“, sagt Tia. „Weil in den Computerprogrammen Differenzialgleichungen stecken.“

Endlich konnte sie ihr Mathe-Talent also auf das Meer anwenden. Doch da hörte die Symbiose ihrer Leidenschaften in ihrem Lebenslauf noch nicht auf: Kaum hatte sie Anfang 2019 ihre Masterarbeiten abgegeben, hörte sie von der Idee einer „Helmholtz School for Marine Data Sciences“ – kurz: „MarDATA“. Einer interdisziplinären Research School, die sich dem Ziel verschreiben wollte, einen neuen Typus mariner Datenwissenschaftler auszubilden. Einen Weg, den sie bereits begonnen hatte zu gehen.

Inständig hoffte sie auf die Bewilligung der Forschungsgelder – und bewarb sich, sobald der Startschuss für die MarDATA fiel. Die Research School, die es seit Herbst 2019 gibt, ist eine gemeinsame Gründung der beiden führenden deutschen Meeresforschungseinrichtungen – dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven und dem GEOMAR in Kiel – sowie deren Partneruniversitäten in Bremen und Kiel. Darüber hinaus ist sie Teil der Helmholtz Information and Data Science Academy (HIDA), Deutschlands größtem postgradualen Ausbildungsnetzwerk in den Informations- und Datenwissenschaften. Die Doktoranden der MarDATA, die aus den Bereichen Informatik, Mathematik und Ingenieurswesen kommen, erhalten 3-Jahres-Verträge und werden doppelt betreut: je von einem Professor oder einer Professorin aus der Daten- und einem oder einer aus der Meereswissenschaft.

Auf den Weltmeeren erheben unzählige Messinstrumente tagtäglich Daten

Tia bekam einen Platz und gehört seit dem 1. September 2019 zur ersten Kohorte von 16 Doktoranden, die am AWI oder GEOMAR forschen und auf diesem Weg lernen, ihre Daten-Expertise mit dem Wissen um die Prozesse im Meer noch besser zu verzahnen. Denn genau das wird heute dringend gebraucht: Über 70 Prozent der Erdoberfläche ist von Meeren bedeckt. Längst sind auf allen Ozeanen tagtäglich unzählige Messinstrumente im Einsatz, ob auf Expeditionsschiffen oder in Form autonomer Mini-U-Boote, die permanent Daten generieren, zu Wassertemperaturen, Salzgehalt, Nährstoffkonzentrationen und vielem mehr. Kurzum: ein riesiger Daten-Schatz, in dem enormes Wissenspotential steckt – sofern man damit umzugehen weiß.

„Unsere Aufgabe am MarDATA ist es, diese Daten nützlich aufzuarbeiten“, sagt Tia. In ihrer Doktorarbeit mit dem Titel: „Development of adapted Kernel Density Estimators for the Calibration of marine biogeochemical models” forscht sie nun daran, die Vorhersagen für Erdsystemmodelle zu verbessern. Sprich: Jene Grafiken, die wir vielleicht aus den Nachrichten oder dem IPCC-Report kennen, die Prognosen dafür geben, wie sich unser Klima oder bestimmte Prozesse in der Welt in Zukunft unter welchen Bedingungen verändern. Die Grundlage für Entscheidungsträger wie Politiker oder Manager.

"Ich bin keine Greta und kann keine Massen anführen und ich bin auch keine Meeresbiologin und fahre nicht bei Sturm und Wind raus in die Antarktis. Ich bin Mathematikerin. Das kann ich richtig gut.“

Dafür optimiert Tia ein biogeochemisches Teilmodell. Sie analysiert Datensätze per Kerndichteschätzer, erstellt Metriken und rechnet das Modell immer wieder von Neuem mit unterschiedlichen Parametern durch, bis sie Lösungen für bessere Vorhersagen findet. „Ich bin keine Greta und kann keine Massen anführen und ich bin auch keine Meeresbiologin und fahre nicht bei Sturm und Wind raus in die Antarktis“, sagt sie, die nebenbei nicht ganz seefest ist. „Ich bin Mathematikerin. Das kann ich richtig gut. Und jetzt kann ich es endlich für das nutzen, was ich immer wollte.“ Dafür, das Meer zu schützen, das sie liebt.
 

Text: Andrea Walter

Alternativ-Text

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