Wenn aus Daten Klänge werden

Hörerin groß
Daten kann man zuhören: Besucherin von COMMON GROUNDS.

Mit dem eigenen Herzschlag Partituren schreiben oder Sonnenschein in Klang verwandeln? Zwei Projekte an der Schnittstelle von Datenwissenschaften und performativer Kunst wurden 2021 für das „Art meets Science“-Programm von HIDA und der Akademie für Theater und Digitalität ausgewählt. Im Oktober und November sind die Kunstprojekte nun in Potsdam und Saarbrücken zu sehen und zu hören.

Wie klingt das Klima?

Die Polarregionen der Arktis sind die Gegenden der Erde, die sich am schnellsten erwärmen. Obwohl das Thema Klimawandel in der Öffentlichkeit angekommen ist und sich durch gehäufte Extremwetterereignisse bemerkbar macht, ist es immer noch schwierig, diese Fakten zu vermitteln. Der Klimawandel vollzieht sich in einem räumlichen und zeitlichen Maßstab, der viel größer und langsamer ist als unsere menschliche Wahrnehmung. So bleibt er für viele nur eine entfernte, diffuse Gefahr. Das Projekt COMMON GROUNDS versucht darauf zu reagieren, indem es dazu einlädt, sich dem Klima auf eine akustische Weise zu nähern.

Die beiden HIDA-Fellows Kerstin Ergenzinger und Bnaya Halperin-Kaddari vom Sono-Choreographic Collective haben eine artifizielle Klangumgebung gestaltet, die auf einem umfangreichen Datensatz stündlicher Wettermessungen beruht. Aufgezeichnet wurden diese Wetterdaten über einen Zeitraum von 20 Jahren in der Arktis auf Spitzbergen. Verschiedene Sonifizierungsmethoden wandeln die endlosen Zahlenkolonnen aus Messwerten von Bodenfeuchte, Niederschlag oder Sonnenschein in Klänge um, so dass sie sinnlich erfahrbar werden. Verdichtet zu einem einstündigen Klang-Loop, werden zwei Jahrzehnte Wetterinformationen zu einem eindrücklichen, polyphonen „Chor“. Teil der Installation ist ein Audio-Guide und eine Karte, die die Besucher bei der Navigation durch die verschiedenen Stationen und Klänge unterstützt.

Navigationshilfe: Der Besucher kann sich mit Tablet und Audioguide die einzelnen Klang-Stationen erklären lassen. (Foto: K. Ergenzinger/B. Halperin-Kaddari)
Hörer liegend
Zuhören und verweilen: So klingt das Wetter auf Spitzbergen. (Foto: K. Ergenzinger/B. Halperin-Kaddari)

Interdisziplinäres Programm Kunst trifft Wissenschaft

Kunst trifft Wissenschaft

Durch den innovativen Austausch mit der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund, ermöglicht HIDA die Auseinandersetzung mit Data Science und Künstlicher Intelligenz in den performativen Künsten und stellt somit eine einzigartige Gelegenheit für Künsterlinnen und Künstler, aber auch für Programmierer oder Wissenschaftlerinnen dar, sich kreativ und grenzübergreifend Fragen und Anwendungskontexten der Datenwissensschaften zu widmen.

 

Informieren Sie sich hier über das Programm!

 

Kunst trifft Wissenschaft

Mit der Klang- und Lichtinstallation COMMON GROUNDS wird eine gemeinsame Basis geschaffen, die zum Zuhören und Verweilen einlädt. Die Übersetzung von Wetter- und Klimadaten der Arktis in Klänge ermöglicht dem Zuhörer den Zugang zu diesen Phänomenen als physische und sensorische, musikalische Erfahrung und eröffnet eine neue Perspektive aufs Klima.

Entwickelt wurde die Arbeit Kerstin Ergenzinger und Bnaya Halperin-Kaddari und der Permafrost-Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Julia Boike am Alfred-Wegener-Institut Potsdam in Zusammenarbeit mit Tobias Grewenig.

Eine umfangreiche Dokumentation über das Projekt und die ihm zugrundliegenden Forschung der Permafrost-Forschungsgruppe finden Sie hier.

Dein Herzschlag spielt mit

Der Schlagwerker und Komponist Martin Hennecke, ebenfalls HIDA-Fellow an der Akademie für Theater und Digitalität, hat eine besondere Anwendungssituation von Data Science ersonnen, um die Einzigartigkeit jeder Live-Performance auf besondere Weise erfahrbar zu machen. In seinem Projekt „The (Un)Answered Question – Eine musikalische Data Science Versuchsanordnung“ hat er dazu ausgewählte Methoden und Techniken der Datenwissenschaft mit konzeptionellen und kompositorischen Ideen aus Theater und Musik kombiniert.

Ausgehend von Ralph Waldo Emersons Gedicht „The Sphynx“ und dem Stück „The Unanswered Question“ des amerikanischen Komponisten Charles Ives entwickelte und erforschte Hennecke einen Prototyp für eine solche Aufführung.  Beide Werke werden miteinander verwoben und während der Aufführung modifiziert, je nach Gemütszustand und körperlicher Verfassung der ausführenden Künstler oder der Zuschauer. Ausschlaggebend für das jeweilige Ergebnis sind verschiedene Körperdaten des Publikums und der Performer, zum Beispiel der Herzschlag oder der Gesichtsausdruck, die mittels Fitness-Tracker oder Emotionserkennung über Bilderkennungssoftware erfasst werden. Ein intelligenter Algorithmus sammelt diese verschiedenen Biodaten und verarbeitet sie zu Videoprojektionen und einem orchestralen Live-Remix der Originalkomposition. Dieser Remix wird zu einer neuen Partitur, die in einzelnen Teilen auf Tablets für die Musiker gestreamt wird. – Das Ergebnis ist ein immersives und exklusives Live-Erlebnis, an dem Zuhörer und Interpreten gleichermaßen teilhaben.

An dem Projekt beteiligt waren ebenfalls die Berlin Ultrahigh Field Facility am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und das Institut für Softwaretechnologie des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt.

Nähere Informationen zu Konzept und Durchführung des Projekts können Sie in diesem Wiki nachlesen.

Termine

  • Common Grounds ist vom 12.10. bis 30.11.2022 täglich von 10-16h von montags bis freitags im Obergeschoss des Alfred-Wegener-Instituts Potsdam (AWI) zu sehen und zu hören.  Da der Raum nur für AWI Mitarbeiter frei zugänglich ist, bitte um Voranmeldung bei Julia Boike: Julia.Boike@awi.de.
  • The (Un)answered Question – Eine musikalische Data Science Versuchsanordnung: Die erste öffentliche Aufführung mit Orchester wird am 08.11.2022 mit dem Saarländischen Staatsorchester in der Alten Feuerwache Saarbrücken stattfinden.

Zu den Künstlern

Kerstin Ergenzinger ist eine akustische und bildende Künstlerin, die in den Bereichen Skulptur, Klang, Kinetik, Licht und Zeichnung arbeitet. Die unentwirrbaren Beziehungen zwischen Körper und Welt, Wahrnehmung und Wahrgenommenen, dem Erspüren und der Herstellung von Sinn sind zentrale Themen ihrer Praxis. In den letzten Jahren hat sie sich vor allem mit verschiedenen Geräuschökologien und den verschiedenen Möglichkeiten der Einstimmung auf die Unterschiede in der Welt beschäftigt. Ergenzinger hat Bildende Kunst an der Universität der Künste in Berlin und Skulptur am Chelsea College of Art and Design London studiert und ein Diplomstudium der Medialen Künste an der Kunsthochschule für Medien Köln absolviert.

Bnaya Halperin-Kaddari erforscht eine Fülle künstlerischer Strategien, die von instrumentaler, elektroakustischer oder improvisierter Musik über Instrumentenbau und Klanginstallation bis hin zu Video und somatischer Arbeit reichen. Ausgebildet als Blasmusiker, studierte er Komposition, Musikwissenschaft und Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem und machte seinen Master in Komposition an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Von 2016-2018 war er Stipendiat am Berlin Center of Advanced Studies der Universität der Künste Berlin und ist derzeit Doktorand am Goldsmiths College London.

2019 gründete er gemeinsam mit Kerstin Ergenzinger und Kiran Kumar das Sono-Choreographic Collective, ein Kollektiv für transdisziplinäre Kunst und Forschung.

Martin Hennecke ist Schlagzeuger, Komponist und seit 2009 stellvertretender Solopauker des Saarländischen Staatsorchesters Saarbrücken. In seinem kompositorischen Schaffen beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit Schlagzeug und Elektronik aber auch mit Orchestermusik und der performativen Einbettung von visuellen Elementen innerhalb des Konzertes. Seine Werke wurden u.a. beim EVIMUS-Festival für elektroakustische und visuelle Musik, bei Produktionen des Saarländischen Staatsballetts, in der Philharmonie Luxemburg oder dem Festival Zappanale uraufgeführt, gesendet von verschiedenen Radiosendern der ARD und in die Contemporary Music Score Collection der UCLA Music Library aufgenommen. Seit 2020 unterrichtet Martin Hennecke an der Hochschule für Musik Saar.

 

Alternativ-Text

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