"Der Kern der Bildung ist nicht bedroht."

Der Einsatz von KI in der Bildung mag die derzeitigen Lehrmethoden verändern, aber niemals das menschliche Bedürfnis nach Wissen. Credit: Jason Goodman/unsplash

Wie verändert KI die Hochschulbildung? Vor allem seit dem Siegeszug von intelligenten Chatbots stellen sich Lehrende diese Frage. John Bai ist Post-Doc an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und forscht zu diesem Thema. Im Interview gibt er einen optimistischen Zukunftsausblick.

In der öffentlichen Debatte wird KI im Bildungsbereich vorwiegend in alarmistischen Tönen diskutiert. Ist KI eine Gefahr für die Bildung, wie wir sie kennen?

Diese Frage so zu formulieren, bringt die Sache auf den Punkt. Ist sie eine Gefahr für die Bildung? Nein. Bei der Bildung geht es im Kern darum, zu lehren und zu lernen. Etwas, was Menschen eben tun und immer tun werden. Unsere derzeitigen Lehr- und Lernpraktiken werden sich jedoch verändern. Wenn die Leute befürchten, dass die Schüler ChatGPT zum Schummeln nutzen werden, ist diese Sorge sicher berechtigt. Betrug war immer schon ein Problem.

Ich habe etwas gelesen, das ich sehr aufschlussreich fand: ChatGPT demokratisiert die Fähigkeit zu betrügen. Sie müssen jetzt niemanden mehr finden und ihn dafür bezahlen, dass er Ihnen einen Aufsatz schreibt. Sie brauchen es einfach nur bei ChatGPT einzugeben. Der Einsatz von schriftlichen Arbeiten wird sich dadurch verändern. Die Zeiten könnten vorbei sein, in denen es hieß: „Hier ist die Frage, du schreibst jetzt einen Aufsatz dazu, und ich schaue mir an, was du weißt und was nicht“.

Die Verfahren werden sich ändern. Der Kern der Bildung ist nicht bedroht.

Unser Gesprächspartner John Bai

John Bai

John Y. H. Bai ist Post-Doc an der Fakultät für Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Nach seiner Promotion in experimenteller Psychologie an der University of Auckland, Neuseeland, arbeitete er als Research Fellow und anschließend als Dozent an der gleichen Einrichtung. Derzeit arbeitet er in Zusammenarbeit mit dem internationalen Team des Center for Open Education Research (COER) an dem Projekt "Prospects for the Future of Learning: Artificial Intelligence Applications in Higher Education", das von der Volkswagen-Stiftung und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert wird. Dieses internationale Projekt bündelt die Perspektiven von Hochschullehrern aus sechs Ländern/Regionen und zielt darauf ab, einen Beitrag zur interdisziplinären und Multi-Stakeholder-Diskussion über KI und Gesellschaft zu leisten, im Einklang mit der kürzlich veröffentlichten UNESCO-Empfehlung (2021) zur Ethik der Künstlichen Intelligenz.

Was könnte denn die schriftlichen Arbeiten ersetzen?

Viele Menschen versuchen gerade, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Wir geben Aufsätze auf, weil sie praktisch sind, nicht wahr? Sie lassen sich leicht austeilen. Sie lassen sich leicht benoten. Aber sie waren schon immer nur ein indirekter Maßstab nach dem Motto: „Ich gebe dir eine Aufgabe. Du schreibst etwas dazu auf. Anhand dessen, was du geschrieben hast, kann ich beurteilen, ob du das Konzept verstehst oder nicht.“

Bei der AIEd gibt es einen großen Hype und viel gute Arbeit zu dem Thema, wie sich Wissen lebensnäher oder fundierter messen lässt. Lassen sich tatsächlich diese intelligenten Nachhilfesysteme entwickeln, die mir anhand Leistung und Ihrer Interaktionen bessere Anhaltspunkte dazu liefern, ob Sie ein Konzept wirklich verstanden haben oder nicht?

Könnten Sie das etwas ausführlicher erklären, vor allem den letzten Teil? Wie würde das aussehen?

Der Grundgedanke dahinter ist, dass man versucht, den Einzelunterricht zu simulieren. Zu Beginn wird festgehalten, welche Inhalte die Schüler lernen sollen. Dann wird den Schülern eine Abfolge von Übungen gegeben, die diese erledigen sollen. Je nachdem, wie die Schüler bei diesen Aufgaben abschneiden, sagt das intelligente Nachhilfesystem: „OK, es sieht so aus, als hättest du das verstanden. Wir machen jetzt mit dem nächsten Thema weiter.“

Oder: „Anscheinend hast du noch Schwierigkeiten damit. Ich habe hier eine weitere Übung, die dir dabei helfen soll, dieses Thema aus einem anderen Blickwinkel zu begreifen.“ Mit der Entwicklung von intelligenten Nachhilfesystemen soll eine Leistung genauer oder stichhaltiger beurteilt werden.

Man hört praktisch keine Geschichten über Zukunftsversionen, in denen nichts schief geht. Weil das einfach langweilige Geschichten wären.

Wir erleben ja gerade eine sehr interessante Zeit, in der sich alles verändert. Und die Menschen werden nervös. Können Sie vielleicht eine Orientierung geben, wohin die Reise geht?

Ich denke, es ist sehr leicht, immer gleich von einer dystopischen Zukunft auszugehen. Ich habe mal ein Interview geführt, bei dem mein Gegenüber sagte: „Man hört praktisch keine Geschichten über Zukunftsversionen, in denen nichts schief geht. Weil das einfach langweilige Geschichten wären.“ Das, was wir normalerweise in uns aufsaugen, ist wie Terminator. Oder, Sie wissen schon, so was wie ...

die Roboter sind unter uns her.

Genau! Ich glaube, dass viele unserer Erwartungen an die Zukunft von diesen fiktiven Darstellungen geprägt sind. Gleichzeitig gibt es aber wohl Tausende Forschende, die hart daran arbeiten, Werkzeuge für eine inklusivere Zukunft zu entwickeln. Um dieser sehr dystopischen, negativen Sichtweise einfach mal entgegenzutreten: Es kann auch viel Gutes dabei herauskommen, wenn wir das, was wir von der Zukunft erwarten, neu definieren. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine utopische Zukunft skizzieren kann, aber ich denke, wenn wir bei der Entwicklung dieser Werkzeuge für die Bildung sorgfältig und systematisch vorgehen, dann können wir die Bildung auch verbessern, bessere Ergebnisse für die Lernenden erzielen und die Skalierbarkeit und Reichweite erhöhen.

Das ist das Ziel. Es geht darum, das Dystopische zu vermeiden, aber auch darum, uns in eine Richtung zu bewegen, die wir wirklich wollen. Dazu müssen wir darüber reden, was wir von der Hochschulbildung eigentlich erwarten.

Denn wir wissen, dass die Wissensvermittlung auch viele administrative Aufgaben umfasst, viel Bewertung um der Bewertung willen. Der Nutzen für die Studenten ist vielleicht nicht ganz so deutlich zu erkennen.

Mehr zur TEACH - Konferenz

Die TEACH Konferenz

Die nächste TEACH Konferenz findet vom 07.-08. Dezember statt.

Auf der TEACH-Konferenz kommen Lehrende, Forscher, sowie Personalentwickler in der Helmholtz-Gemeinschaft zusammen, um sich über bewährte Praktiken, Methoden und Erfahrungen auszutauschen.

Die diesjährige TEACH-Konferenz konzentriert sich unter anderem auf die Rolle von KI in der Bildung.

Zum Auftakt wird John Bai eine Keynote zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz in der Hochschulbildung halten.

 

Wie sollten wir nun aber mit dem Thema KI in der Bildung umgehen? Vorsichtig? Optimistisch?

Ich glaube nicht, dass es hier ein klares Sollen oder Nicht-Sollen gibt. Ich denke, dass verschiedene Menschen damit auch unterschiedlich umgehen werden. Diese Vielfalt an Vorgehensweisen und das Gespräch zwischen diesen verschiedenen Menschen wird maßgeblich dazu beitragen, die Zukunft der KI in der Bildung zu gestalten. Die eigentliche Frage ist, was für uns nützlich ist. Denn Vorsicht ist bis zu einem gewissen Grad nützlich, ebenso wie die Begeisterung, die man bei dem Gedanken daran empfindet, wie sich KI einsetzen lässt. Auch das ist sehr nützlich.

Ich glaube, das Nützlichste war und ist die Neugier. Wenn Sie neugierig darauf sind zu erfahren, wie KI funktioniert oder wie Sie sie für Ihren Unterricht oder zum Lernen einsetzen können, dann fangen Sie an, sich darüber zu informieren.

Sie werden auf unserer TEACH-Konferenz eine Grundsatzrede halten. Was können die Teilnehmenden von Ihrer Keynote erwarten?

Der Arbeitstitel der Keynote-Präsentation lautet „A primer on AI in education“. Ich hoffe, dass ich den Leuten den Anwendungsbereich vorstellen kann und wie umfangreich das Forschungsgebiet ist. Ich will auch versuchen, einige Anwendungen etwas genauer in den Blick zu nehmen – und dann anhand dieser Beispiele einige allgemeine Schlüsse formulieren, die sich aus dem Fortschritt in der KI-Forschung ableiten lassen. Es geht dabei hauptsächlich um die akademische Forschung bei der AIEd. Die AIEd lässt sich natürlich auf sehr vielfältige Art betrachten. Ich habe juristische Argumente gelesen, ich habe Unternehmensberichte gelesen. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, aber als Akademiker gehe ich wie ein Akademiker an dieses Thema heran.

Wir werden vor allem über eine aktualisierte systematische Überprüfung der AIEd-Literatur sprechen, anschließend einige Beispiele näher beleuchten und darauf aufbauend hoffentlich in die Diskussion kommen. Wir hoffen, dass bei dieser Diskussion auch für das Publikum noch genug Zeit bleibt, um sich einzubringen, mitzudiskutieren, zu argumentieren und einige interessante Fragen aufzuwerfen.
 

Das Interview wurde geführt von Laila Oudray

Alternativ-Text

Newsletter bestellen